Vom Hausmittel zum Heilmittel

Was als Hausmittel schon lange angewendet wurde, fand durch die Schulmedizin seine Bestätigung: Frisches Sauerkraut entfaltet bei äußeren wie inneren Geschwüren eine erstaunliche Heilkraft. Es hat noch ein weiteres Jahrhundert gedauert, ehe man auch eine wissenschaftliche Erklärung dieses Phänomens fand. 1950 entdeckte der amerikanische Wissenschaftler G. Cheney einen Stoff, der in größeren Mengen nur in Kohl und insbesondere in Weißkohl enthalten ist. Cheney nannte ihn -Anti-Ulkus-Faktor- (lateinisch Ulcus = Geschwür), denn es handelt sich dabei um einen speziellen Eiweißgrundbaustein, der die Schleimhäute - also auch den Magen-Darm-Trakt - mit Substanzen versieht, die gegen Geschwüre und Entzündungen ebenso schützen wie gegen Gastritis oder Sodbrennen und gegebenenfalls den Heilprozess beschleunigen. Durch Erhitzen verliert der Kohl diese wertvollen Eigenschaften - also auch bei Konservierung durch Sterilisieren und Pasteurisieren! In der Dose sind sie verschwunden. Darum müssen Sie sich bei diesem speziellen Kurzweck an rohen Krautsaft oder frisches Sauerkraut halten.

Sauerkraut ist Powerkraut

Sauerkraut ist Powerkraut durch die Summe seiner energiespendenden Inhaltsstoffe. Sauerkraut besitzt soviel davon, daß schon ein oder zwei Portionen wöchentlich oder gar ein, zwei Gabeln täglich ausreichen, um entscheidende Ernährungsmängel auszugleichen. Mineralstoffe und Spurenelemente sind organische Verbindungen, die der Körper nicht selbst produziert, sondern nur über die Nahrung aufnehmen kann. Kalzium und Phosphor sind die wichtigsten Baustoffe für Knochen und Zähne, so etwas wie der  Zement  unseres Skeletts. Der Bedarf ist besonders hoch bei schwangeren Frauen und während der Stillzeit sowie bei älteren Menschen, die durch den Abbau von Knochensubstanz osteoporosegefährdet sind. Kalzium spielt auch im Stoffwechselsystem für Muskeln und Nerven eine wichtige Rolle, und wenn der Organismus mangelhaft ernährt wird, holt er sich das notwendige Mineral aus den Knochen; die Folge ist Nervosität und auch Anfälligkeit für Knochenbrüche. Kalium ist von großer Bedeutung für die Zellfunktion und regelt im Zusammenspiel mit Natrium den Wasserhaushalt. Natrium bindet Wasser, Kalium schwemmt es aus. Bei ungesunder Ernährung und Verdauungsstörungen kann Kaliummangel zur Ursache von Muskelschwäche und Herz-Kreislauf-Beschwerden werden.

Vitamine

Es ist schon richtig, daß man nur geringe Mengen davon braucht - aber ebenso gewiss, daß es für den Körperhaushalt und Stoffwechsel überlebenswichtig ist, sie ihm regelmäßig durch natürliche Lebensmittel zuzuführen. Das ist gesünder und bekömmlicher und im Selbstexperiment nachvollziehbar: Zu bestimmten Zeiten - bei Anspannung oder Erschöpfung, zur Erholung oder fürs Vergnügen - verlangt es uns nach ganz bestimmten Gerichten und Genüssen. Und wenn wir das unter ernährungsphysiologischen Kriterien nachprüften, würden wir die Signale unseres Körpers erkennen: Er fordert gewisse Nahrungsmittel und Substanzen, die seine Funktion und sein Wohlbefinden wiederherstellen oder verbessern. Vitamine bestehen aus organischen Verbindungen und erfüllen im Zusammenwirken mit Enzymen und Hormonen lebenswichtige Aufgaben im Zellstoffwechsel. Einige bildet der Organismus selbst aus so genannten Provitaminen, doch insgesamt müssen sie dem Körper mit der Nahrung zugeführt werden. Dabei ist noch etwas zu beachten: Man unterscheidet zwischen fettlöslichen Vitaminen, zu denen Vitamin K gehört, und wasserlöslichen Vitaminen - das sind die meisten der Vitamin-B-Gruppe einschließlich der Folsäure (B9) und Vitamin C. Die ersteren kann der Körper in seinem Gewebe speichern, während die wasserlöslichen rascher ausgeschwemmt werden. Das heißt, man muß ihm diese regelmäßig zuführen, um einem Mangel vorzubeugen, der auch das ganze Gefüge der dreizehn lebensnotwendigen Vitamine aus dem Gleichgewicht bringt. Vitamin B1 ist wichtig für die Energiegewinnung aus Kohlenhydraten und damit die Versorgung der Nerven sowie der Herz- und Skelettmuskeln - insbesondere Sportler und ältere Menschen haben einen erhöhten Bedarf. Vitamin B6 kommt für den Eiweißstoffwechsel und die Immunabwehr große Bedeutung zu. Es ist zusammen mit der Folsäure (B9) an der Zellteilung und -neubildung beteiligt, die während Schwangerschaft und Wachstum eine große Rolle spielt.

Den Segen von Vitamin C im Sauerkraut haben wir bereits beim Kampf gegen den Skorbut kennen gelernt. Es stärkt das Immunsystem, wirkt am Aufbau von Schleimhäuten und Bindegeweben mit und bewahrt uns vor Infektanfälligkeit und Erkältungen. Vitamin C schützt als so genanntes Antioxidahns jedoch auch die

Körperzellen vor dem Angriff der so genannten freien Radikale. Dies sind molekulare Substanzen, die sich unter der Belastung unserer Umwelt durch Schadstoffe und Gifte vermehren und organische Zellstrukturen zerstören,  oxidieren . Solche  molekularen Terrorbanden  können vorzeitige Alterserscheinungen, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Gefäßerkrankungen und karzinogene Wucherungen auslösen. Schließlich wäre da noch der hohe Vitamin-K-Gehalt im Sauerkraut. Es wird von den Darmbakterien gesunder Erwachsener produziert und ist für die Blutgerinnung und die Knochenbildung notwendig. Das erklärt auch, weshalb Sauerkraut sowohl äußere Wunden zu heilen als auch innere Blutungen zu stillen vermag, und auch, warum es bei Schwangeren und Neugeborenen so gut anschlägt. Es hilft zudem - und in jedem Lebensalter - beim Aufbau einer gesunden und abwehrkräftigen Darmflora und eines gut funktionierenden Verdauungssystems. Und damit kommen wir zu einem weiteren wichtigen

Wirkstoff des Sauerkrauts, der Milchsäure.

Milchsäurebakterien

Werden Nahrungsmittel milchsauer vergoren, verwandelt sich durch die Arbeit von Laktobazillen und Bifidobakterien Zucker in Milchsäure. Milchsäure hat eine konservierende Wirkung insofern, als sie keine anderen Bakterien, vor allem keine Fäulnisbakterien aufkommen lässt. Deshalb wurde sie schon lange in den Dienst der Nahrungszubereitung und Nahrungskonservierung gestellt. Wie Sauerkraut entsteht, weiß wohl noch jede Hausfrau und jeder Hausmann. Weißkohl wird geschnitten und gesalzen eingelegt, gepresst und mit Flüssigkeit aufgefüllt und vergärt in wenigen Wochen zu Sauerkraut. Doch was geschieht dabei? Der Fachmann nennt diesen Vorgang Milchsäuregärung. Diese kann nur stattfinden, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: das Vorhandensein einer Salzkonzentration von etwa einem Prozent (0,8-1,5 Prozent), die Einhaltung bestimmter Temperaturen und luftdichter Abschluss durch Wasser oder einen Deckel. Beim Pressen des gesalzenen Krauts tritt aus seinen Zellen Saft aus, dessen Zucker mit anderen Stoffen ein Nährsubstrat für Mikroorganismen bildet. Das sind zunächst nicht nur die Laktobakterien, die Zucker zu Milch- und Essigsäure spalten und dabei Gase entwickeln, und Hefepilze, die zur Aromabildung beitragen, sondern auch Bittersäure- und Fäulnisbakterien sowie Schimmelpilze, die unter anderem Buttersäure und ebenfalls Gase produzieren. Die Milchsäurebakterien entwickeln jedoch so viel Säure, daß sie die anderen stoppen. Dieser Prozess soll schnell in Gang kommen und wird durch Temperaturen von 20-22 Grad Celsius gefördert.

Nach zwei bis drei Tagen ist dieser erste Gärungsvorgang beendet, und nun vermehren sich nur noch Milchsäurebakterien, die die erste Flora verdrängen. Das geht bei optimalen Temperaturen von 15-18 Grad Celsius langsamer vor sich und dauert zwei bis drei Wochen, die auch für die Aromabildung entscheidend sind. Nun sind die Fäulniserreger verschwunden, die milchsaure Gärung ist abgeschlossen, das Sauerkraut kann bei niedrigen Temperaturen (4-8 Grad Celsius) gelagert werden.

Die Milchsäuregärung

Was ist bei diesem Konservierungsprozess passiert? Die Laktobakterien haben konkurrierende Mikroorganismen ausgeschaltet und die pflanzliche Substanz dadurch haltbar gemacht. Durch die Umwandlung von Kohlenhydraten (Zucker) ist Milchsäure entstanden, sie macht etwa 1,5 Prozent des Sauerkrauts aus. Die Laktobakterien wirken im frischen Sauerkraut weiter. Darum tötet Milchsäure auch in unserem Verdauungstrakt pathogene Darmkeime ab und fördert das Wachstum der

natürlichen Darmflora. Zur Abwehr von Infektionen und Mangelkrankheiten ist das heute genauso wichtig und unentbehrlich wie in früheren Zeiten unhygienischer Essensgewohnheiten, zeitweiser Entbehrung oder anhaltender Unterernährung. Im Zeitalter der Dysbakterie, einer Erkrankung, die durch Überernährung, industriell verarbeitete Nahrungsmittel und wahrscheinlich übermäßige Anwendung von Antibiotika begünstigt wird, sind wir auf physiologische Keime in der Ernährung angewiesen. Bei dieser Warnung konnte der Ernährungswissenschaftler 1989 noch gar nicht absehen, wie viele Lebensmittel mit Zusätzen gentechnisch veränderter pflanzlicher Nährstoffe wir schon 1998 zu uns nehmen - ohne es zu wissen. Niemand aber kann sagen, welche Auswirkungen der Verzehr solcher Lebensmittel auf den Organismus langfristig haben wird. Vielleicht antwortet er mit ganz neuen Anfälligkeiten oder Resistenzen, die seinen Stoffwechsel verändern. Darum kommt den Abwehrkräften natürlicher physiologischer Keime in unserer Ernährung jetzt womöglich eine noch größere Bedeutung zu. Krebs zum Beispiel ist eine bösartige Geschwulst, die sich nicht in den geordneten Bauplan des Organismus einfügt, nach eigenen Gesetzen wächst und wuchert und das normale, gesunde Körpergewebe zerstört. Milchsäurebakterien, davon ist man überzeugt, haben einen Einfluss auf Krebs. Ihre Wirkung, so Professorin Beatrice-Luise Pool-Zobel von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, beruht unter anderem darauf, daß sie Veränderungen des Erbguts in Grenzen halten, das heißt, sie schützen die genetische Substanz gegen Deformationen.

Rohes Frischkraut, ungekocht genossen, ist für die Gesundheit am besten. Bei Konservenware wird Sauerkraut erhitzt, damit es durch weitere Umwandlungsprozesse Dosen und verschlossene Glasgefäße nicht sprengt. Durch Pasteurisieren wird es keimarm, durch Sterilisieren keimlos gemacht; beide Verfahren zerstören außer den lebendigen Milchsäurebakterien auch wertvolle Vitamine.

 

Über die Chinesische Mauer nach Westen

Die Stammpflanze, der so genannte Saatkohl, kam aus Asien zu uns, und von dort stammen auch die frühesten Zeugnisse über seine Verwendung. Beim Bau der Chinesischen Mauer, der im 3. Jahrhundert v. Chr. unter Kaiser Qin Shihuangdi begann, wurden die Arbeiter mit Reis und gesäuertem Kohl ernährt. Der Grund ist leicht einzusehen. Die Versorgung so gewaltiger Menschenmassen, die zur Auftürmung von Wanli Changcheng, ist ein pekuniäres wie logistisches Problem. Reis war haltbar, konnte aber den Nährstoffbedarf von Schwerarbeitern kaum abdecken. Das geschah durch die Ergänzung mit Kohlgemüse - und die alten Chinesen wussten offensichtlich, daß es durch Säuerung haltbar wurde, ohne seinen Nährwert einzubüßen. An der Großen Mauer, die mit allen Abzweigungen tatsächlich an die 10000 Kilometer erreichte, wurde bis ins 15. Jahrhundert gebaut. Die Nomadenvölker, gegen deren Einfälle sie das Kaiserreich schützen sollte, sind es nach einigen Überlieferungen auch gewesen, die die Kenntnis vom sauren Kohl nach Westen brachten: Mongolen und Tataren. Dafür spricht immerhin die Überlegung, daß Sauerkohl auch diesen vagabundierenden Reiterstämmen eine prächtige Vorratshaltung bot. Und noch ein weiteres Argument: Sauerkraut taucht als Bestandteil simpler Ernährung zuerst in traditionellen Rezepten Osteuropas auf, und in ganz Europa hat sich schließlich die  slawische Methode  seiner Zubereitung durchgesetzt. Denn im Abendland der Antike kannte man diese Weise, es zu schnitzeln und zu salzen, nicht. Den Kohl freilich schon. Der griechische Arzt Hippokrates von Kos (460-377 v. Chr.), nach dessen Auffassung das Wesen der Krankheit in einer fehlerhaften Mischung der Körpersäfte besteht, hat als  Vater der Heilkunde  den Kohl in die Naturmedizin eingeführt:  Kohl besitzt eine abführende Wirkung und hilft bei Frauenleiden.  In den Schriften der Pythagoreer wird roher Kohl als Diätkost bei nervösen Störungen empfohlen. Als Heil- und Hausmittel also taucht der Kohl zuerst in der europäischen Literatur auf, und wahrscheinlich geht das auf die Volksmedizin der alten Ägypter zurück: Sie errichteten ihm zu Ehren sogar einen Tempel. In der botanischen Systematik des Naturphilosophen Theophrast von Eresos (372-287 v. Chr.), eines Musterschülers des großen Aristoteles, werden drei verschiedene Kohlarten genannt - und er folgt in ihrer Beschreibung dem pragmatischen Interesse des Hippokrates: Es sei gesünder, den Kohl nur warm zu machen, als ihn lange oder gar zweimal zu kochen. Wie klug und erfahren diese Stammväter moderner Wissenschaft urteilten, werden wir noch sehen: Kohl (und Sauerkraut) verlieren durch starke Erhitzung tatsächlich wesentliche Teile ihrer wertvollen Substanzen und organischen Wirkung. Ein Kräuterbuch des Hieronymus Bock preist 1551  Sauerkappes  eingesalzten als vorzügliche Speise für alle, die  stättigs groß Arbeit tun . Marx Rumpoldt, kurfürstlich-mainzischer Mundkoch, verwendet in seinem 1581 erschienenen New Kochbuch Weißkraut zu vielen seiner üppigen Rezepte, auch zur spanischen  Olla potrida  mit neunzig (!) Zutaten. Er beschrieb nicht nur die europäischen Spezialitäten der Zeit, sondern unterschied auch fein säuberlich die verschiedenen gesellschaftlichen Ränge: Kaiser, König, Kurfürst, Edelmann, Bürger und Bauer. In der Speisenfolge bürgerlicher Küche erscheint da neben Rindfleisch in Meerrettich und gefülltem Spanferkel auch Sauerkraut mit geräuchertem Speck, in alten Hühnern gekocht. Den Bauern empfahl er Eintopf aus Ochse und Kapaun, dazu Obst, Käse und Gebäck. Vermutlich aßen die Bauern eher Kohl und Sauerkraut ohne Fleisch und auch kein Gebäck. Den Käse (ein gesäuertes und haltbares Milchprodukt) hatten sie als Steuer dem Landesherrn zu entrichten. Diese Abgabe lässt sich noch heute im  Käsbüro  der kleinen Gemeinde Seebach am Rande des Pfälzer Waldes nachweisen.

Sauerkraut auf Weltreise: Captain Cook

Kohl und Kraut, wie gesund und heilsam auch immer, waren hauptsächlich Nahrung für das einfache Volk. Ins Blickfeld der Mächtigen und zu historischer Bedeutung gelangten sie aus anderen Gründen. Da hatten eifrige Naturforscher der Aufklärungszeit Mitte des 18. Jahrhunderts die Behauptung aufgestellt, Sauerkraut schütze gegen den gefürchteten Scharbock (Skorbut). Das war militärisch interessant im Zeitalter der Segelschiffe, die oft monatelang unterwegs waren, um für die Seemächte neue Routen und Gebiete zu entdecken und zu erobern, aus denen man lukrative Güter nach Europa bringen konnte. Der größte Feind auf diesen Fahrten waren weder Piraten noch tyrannische Offiziere oder prügelnde Maaten, sondern der Skorbut, der die miserabel verpflegten Mannschaften dahinraffte. Als der Portugiese Vasco da Gamma 1497/98 erstmals das Kap der guten Hoffnung umsegelte und den Seeweg nach Indien eröffnete, verlor er 105 seiner 160 Matrosen durch Skorbut. Und wie viele der verschollenen Schiffe noch tagelang mit ihrer toten Mannschaft dahindümpelten, ehe sie das Meer verschlang, ist kaum zu ermessen.

Heute wissen wir, daß Skorbut eine Vitamin-C-Mangel-Krankheit ist, die durch das Fehlen frischer Nahrung entsteht: Der hohe Gehalt an Vitamin C im Kohl, der weitgehend auch im gesäuerten Kraut erhalten bleibt, beugt diesem Mangel vor. Damals allerdings suchte man noch verzweifelt nach einem Gegenmittel. Als nun James Cook (1728-1779), eigentlich nur ein Kohlenschipper der Nordsee, den Auftrag erhielt, eine wissenschaftliche Expedition in den Pazifik zu leiten, um in Tahiti den Venus-Durchgang zu erforschen, hatte die britische Admiralität drei Gründe dafür. Einmal versprach diese Messung entscheidende Aufschlüsse zur Bestimmung der Längengrade - einigermaßen korrekt konnte man bis dahin in der Seefahrt nur die Breitengrade bestimmen. Zweitens war Cook als Navigator geschätzt und sollte die Schiffahrtsrouten und die Küsten wenig bekannter Länder und Inseln der Südsee vermessen und ein paar neue Gebiete entdecken. Außerdem sollte er herausfinden, was es mit der behaupteten Wirkung des deutschen  Sour Krauts  gegen Skorbut auf sich hatte.

Im Juli 1768 segelte die  Endeavour  die Themse hinab. In ihrem Bauch lagerten fast vier Tonnen Sauerkraut: zwei Pfund pro Woche für siebzig Mann Besatzung, berechnet auf zwölf Monate. Es war fraglos nicht einfach, die Mannschaft zum Verzehr des stark riechenden Krauts zu bewegen; die Offiziere und Herren Wissenschaftler mussten, bestimmt auch widerwillig, mit gutem Beispiel vorangehen. Cooks erste Weltreise dauerte doppelt so lang wie geplant, mehr als zwei Jahre. Aber er brachte seine Mannschaft ohne Verluste durch Skorbut zurück und erstattete den Lords Bericht: Sauerkraut sei ein vorzügliches Mittel.

Auf seiner zweiten Weltreise, die ihn bis an die Antarktis und kreuz und quer durch den Pazifik führte, hatte James Cook sechzig Fässer Sauerkraut an Bord. Die Admiralität wollte das Ergebnis des Experiments erhärten. Das Lebensmittelamt gab ihm außerdem eine spezielle Karottenmarmelade mit, die ein Baron Storsch aus Berlin erfunden hatte. Die Idee war gar nicht so schlecht, denn auch Karotten enthalten reichlich Vitamin C: Aber die adäquate Menge Konfitüre mit dem halben Gehalt an Vitaminen lässt sich nicht so leicht verzehren wie eine Portion Sauerkraut. Das Kraut, ergänzt durch die Frischkost von den Südseeinseln, hielt fast drei Jahre vor - und die Mannschaft gesund. Der junge Georg Forster (1754-1794) aus Danzig, der mit seinem Vater die Reise wissenschaftlich begleitete und umfangreiches botanisches Material sammelte, schreibt in seiner Reise um die Welt 1772-1775:  Ohngefähr vierzehn Tage vor unserer Ankunft in Engelland fanden wir die letzte Tonne, die man bis dahin im Schiffsraum übersehen hatte, und auch diese enthielt so frisches und schmackhaftes Sauerkraut, daß verschiedene portugiesische Herren, die auf der Rheede von Fayal mit uns speiseten, nicht nur mit außerordentlichem Appetit davon aßen, sondern sich den im Fasse gebliebenen Rest ausbaten, um ihre Freunde am Lande damit zu bewirthen. Es ward mehrenteils zweymal die Woche, zur See aber, und besonders in den südlichen Gegenden, auch öfter gereichet. Die Portion auf jeden Kopf war ein Pfund.

Dem deutschen Leser die guten Eigenschaften dieses Gerichtes anzurühmen, wäre überflüssig. Doch kann ich nicht umhin zu sagen, daß es vielleicht das allerbeste Präservativ gegen den Scharbock ist, weil es in Menge eingenommen, und nicht als Medizin, sondern in großen Portionen als nahrhafte Speise gebraucht werden kann.  Das Sauerkraut, so könnte man wohl sagen, ist auf dem Landweg von Osten nach Westen gewandert, aber seine weltweite Bewährung und Anerkennung hat es auf dem Seeweg von West nach Ost rund um die Erde gefunden. Captain Cook, der Erforscher des Pazifiks, hat diese Anerkennung übrigens nicht mehr erlebt. Er wurde während seiner dritten Weltreise 1779 auf Hawaii erstochen.

Sauerkraut als Truppenproviant: Napoleon

Es kommt nicht von ungefähr, daß sich die historischen Erwähnungen von Sauerkraut so martialisch ausnehmen. Es besitzt wie kaum ein anderes Lebensmittel Eigenschaften, die es  logistisch  als Proviant interessant machen: Die Rohware Kohl lässt sich leicht und in großen Mengen anbauen; das gesäuerte Kraut ist billig herzustellen, und das Endprodukt Sauerkraut ist gesund, haltbar und ohne besondere Vorkehrungen transportierbar. Der Pariser Küchenmeister Frangois Appert (1750-1840) suchte schon lange nach einer Methode, vorgekochte Lebensmittel in geschlossenen Behältern zu konservieren, als die französische Regierung 1799 einen Preis von 12 000 Francs für eine Erfindung aussetzte, die es ermöglichte, die Truppen mit haltbarer Nahrung zu versorgen. 1804 erhielt Appert diesen Preis für ein Verfahren, mit dem er Gemüse durch Erhitzen sterilisierte und in Gefäße abfüllte. Fortan führte Napoleons Grande Armee in ihrem Tross außer Sauerkraut in Fässern wie bisher, auch gekochten Kohl in Gläsern und verlöteten Blechdosen mit sich. Die konkurrierenden Mächte übernahmen das Appert-Verfahren zur Proviantierung ihrer Heere. So wurden Kohl und Kraut schließlich jedem wehrdiensttauglichen Mann in diesem kriegerischen Europa vertraut und manchem wohl auch verhasst.

Dass Briten und Amerikaner die Deutschen im Ersten Weltkrieg als verdammte  Krauts  bezeichneten, mag wohl mit dieser leidigen Erfahrung zusammenhängen.

Sebastian Kneipp

Auch in Friedenszeiten hat sich das Sauerkraut bewährt. Pfarrer Sebastian Kneipp (1821-1897) lernte es in seiner schwäbischen Heimat als nahrhafte Speise und kräftiges Heilmittel schätzen, mit Suppe, Mehlspeisen und Milch:  Bei diesem allgemein gebräuchlichen Mittagstisch blieben die Leute recht kräftig und gesund, und viele kamen tief in die achtziger Jahre ... Das Sauerkraut gehört wohl zu den allergesündesten Nährmitteln. Es war allgemeines Sprichwort: Die fleißigen Krautesser werden am ältesten.  Sebastian Kneipp, der in Bad Wörishofen seine Wasserkur mit dosierter Bewegungstherapie entwickelte, kombinierte sie mit einer Diätkost, in der Sauerkraut und sein Saft, die Lake, eine große Rolle spielen - zur Verdauungsförderung bei Darmträgheit und Verstopfung, aber auch gegen Gicht und Zuckerkrankheit.

 Jedermann kennt die verschiedenartige und nützliche Verwendung des Krautkohles als Nahrungsmittel. Weniger bekannt und doch so bedeutend ist seine vielfache Heilkraft. Schon das grüne Blatt des Kohles ist, auf die schmerzende Stelle gelegt, ein bewährtes Mittel gegen Kopfweh. Viel größer noch und mannigfacher ist die heilkräftige Wirkung des Krautkohles als Sauerkraut. Es ist vor allem ein großer Irrtum, sich auch vom Genüsse des Sauerkrautes zu enthalten, wenn der Arzt saure Speisen verbietet, da im Gegenteile gerade seine spezielle Wirkung auf den Magen zur Förderung einer guten Verdauung eine außerordentliche ist.